Der französische Schriftsteller Jules
Verne durchquerte im Juni 1881 mit seiner Dampfyacht Saint
Michel III
auch den Eiderkanal
in beiden Richtungen. Sein Bruder Paul, der an dieser Reise von
Frankreich nach Kopenhagen teilnahm, schrieb einen Bericht über
diese Reise:
Von Rendsburg bis Kiel führt der Kanal durch einen wirklichen
Park, eine Art Saint Cloud, aber mit zweihundert Fuß hohen
Bäumen, vorzüglich Buchen, welche an Stelle der Eichen und
Weidenbäume der Vorzeit getreten sind. Hier erweitert sich die
Eider zu einem ausgedehnten und ruhigen Wasserbecken, welches
das Bild seiner anmuthigen Ufer unverändert wiederspiegelt;
weiterhin zieht sich der Fluß zusammen und windet sich in
zahllosen Biegungen unter gigantischen Bäumen hin, deren Kronen
sich über seinem Bette berühren und ein für die Sonnenstrahlen
undurchdringliches Blättergewölbe bilden.
Die Yacht gleitet ruhig durch den geheimnißvollen Laubengang,
zwischen hölzernen Baken und geflochtenen Uferwänden hin. Die
Fahrt scheint nach unbekannten Welten zu gehen. Rings um das
Schiff säuselt und zittert ein Blättermeer und das Ufer
verschwindet gänzlich unter dem dunkelglänzenden Grün.
Rosenstöcke neigen sich bei unserem unerwarteten Erscheinen;
Wasserpflanzen mit grünen, still daliegenden Blättern scheinen
zu erschrecken und tauchen in die schützende Tiefe, dagegen
bleiben – wie um der bezaubernden Landschaft einen bestimmten
Stempel aufzudrücken – während Buchfinken und Stieglitze eilends
entfliehen, die Störche furchtlos stehen, wenn wir
vorüberfahren, erheben sich dann raschen Fluges und suchen einen
Platz auf den Gipfeln der Bäume oder auf dem Radneste der
originellen Bauerngehöfte.
Von Rendsburg waren wir am 17. Juni morgens acht Uhr abgefahren,
sahen stromaufwärts von der Stadt das große Provinzialgefängniß,
und langten um fünf Uhr Nachmittags auf der Rhede von Kiel an.
Wir mußten inzwischen sechs Schleußen, zwei
Eisenbahn-Drehbrücken und vier oder fünf gewöhnliche Zugbrücken
passiren. Die letzteren zeichnen sich durch ihre erstaunliche
Einfachheit aus: zwei Männer, auf jeder Seite einer, genügen, um
dieselbe mit Hilfe eines sorgfältig berechneten Systems von
Gegengewichten in wenig Secunden zu öffnen und zu schließen.
Was beginnt man aber, während die Yacht durch das Kammerwasser
gehoben oder gesenkt wird, je nach der Seite der Wasserscheide,
auf der man sich befindet? Nun, man lustwandelt auf den, sauber
wie Parkwege unterhaltenen Leinpfaden, man legt sich träumend in
den dichten Schatten, der mit erquickender Kühlung labt.
Freundliche Schänken, meist da er richtet, wo der Leinpfad einen
Winkel bildet, laden mit ihren angestrichenen Holztischen zu
einem Glase vortrefflichen, schäumenden Bieres ein. Alles
ringsum ist voll fröhlichen Lebens, reinlich, wirklich
bezaubernd.
Wie hat nun aber jenes Kanonenboot die genau für die Länge des
»Saint Michel« ausreichenden Schleußen passiren können? Darüber
erhielten wir erst in Rendsburg Aufklärung. Der
General-Inspector theilte uns mit, daß man seiner Zeit, um das
Kanonenboot schleußen zu können, die Kammern verlängert und mit
provisorischen Thoren versehen habe. Diese Arbeit verursachte
große Unkosten, aber die Umstände verboten jede derartige
Rücksicht. Es war während des Krieges. Die Deutschen fürchteten
einen Angriff der französischen Flotte auf Wilhelmshaven, das
noch nicht in dem Vertheidigungszustande war, wie heutzutage. So
durften sie natürlich auch die Kosten nicht scheuen, um zwei
oder drei Kanonenboote, die sie zur Abwehr eines etwaigen
Angriffs brauchten, durch den Kanal gehen zu lassen.
Hätten wir diese Einzelheiten schon vor der Abreise aus
Wilhelmshaven gekannt, so würden wir diese Fahrt nicht gewagt
haben; es bedurfte ja so wenig, daß der »Saint Michel« überhaupt
nicht hätte passiren können! Nur fünfundzwanzig Centimeter Länge
mehr, und wir mußten zurückkehren, und zwar auch die Maschine
nach rückwärts arbeiten lassen, da an jenen Stellen an ein
Umdrehen des Dampfers nicht zu denken war. Wer da weiß, was das
zu bedeuten hat, wird unsere Befriedigung begreifen, dieser
Nothwendigkeit glücklich überhoben zu bleiben.
Ich erwähnte schon, daß die Eider sehr viele Krümmungen macht,
daneben wird sie auch noch von zahlreichen Galioten und kleinen
Touristendampfern mit Musik auf dem Deck befahren. Von Rendsburg
nach Kiel jedoch wird sie, mit Ausnahme weniger Stellen, ganz
außerordentlich schmal. Das macht die Schwenkungen um die
scharfen Winkel besonders schwierig, und man ist gezwungen,
immer eine Stange zur Hand zu haben, um das Schiff vom Ufer
abzuhalten. Das Steuer wirkt hierzu nicht ausreichend, und
einigermaßen lange Fahrzeuge haben deshalb hier mit
unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen; die Regierung denkt
auch daran, einen Kanal in größtem Maßstabe herstellen zu
lassen, der für Schiffe jeder Größe, auch für die tiefstgehenden
Kriegsschiffe, benutzbar sein soll. Die beiden Kriegshäfen in
Wilhelmshaven und Kiel würden dadurch in Verbindung gesetzt und
könnten einer den andern im Nothfall unterstützen.
Quelle: Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 372-378.
© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 25-09-2017 21:51