Holtenauer Geschichte

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Der Eingemeindungsvertrag

1922 wurden die Stadtteile Holtenau, Friedrichsort und Pries nach Kiel eingemeindet. Dafür wurde folgender Vertrag geschlossen:

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Vertrag betreffend die Eingemeindung der Landgemeinde Holtenau mit der Stadt Kiel Zwischen der Stadt Kiel einerseits und der Landgemeinde Holtenau, Kreis Eckernförde anderseits ist folgender Vertrag abgeschlossen:

§ 1

Die Landgemeinde Holtenau wird zu einem durch Gesetz zu bestimmenden Zeitpunkt von dem Kreis Eckernförde getrennt und unter dem Namen Kiel-Holtenau, sowie unter folgenden Bedingungen mit der Stadt Kiel, vereinigt.

§ 2

Die Angehörigen der bisher getrennten Gemeinden werden vom selben Tage der Vereinigung an in allen bürgerlichen Rechten und Pflichten und in der Benutzung der beiderseitigen Gemeindeanstalten, soweit nachstehend nichts Abweichendes vereinbart ist, einander gleichgestellt.

§ 3

Das ganze bewegliche und unbewegliche Vermögen beider Gemeinden wird mit der Vereinigung zu einem Ganzen verschmolzen. Die erweiterte Stadtgemeinde Kiel tritt mithin in alle rechtlichen Befugnisse und Verbindlichkeiten der Landgemeinde Holtenau ein.

§ 4

Mit dem Tage der Vereinigung übernimmt die Gemeindebehörde der Stadt Kiel die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der bisherigen Landgemeinde Holtenau. Für den neuen Stadtteil ist ein Standesamt einzurichten, auch ist Sorge zu tragen, daß ein Beamter zur Empfangnahme von Steuern, zur Beglaubigung von Unterschriften und zur Ausgabe von Lebensmittelkarten, solange die Lebensmittelbewirtschaftung bestehen bleibt, in Holtenau anwesend ist.
Der Ortsteil Holtenau muß für sich einen oder mehrere selbständige Armenbezirke bilden. Unterstützungszahlungen sind in Holtenau vorzunehmen. Die Spar- & Leihkasse der Gemeinde Holtenau wird mit der Kieler Spar-& Leihkasse vereinigt. Eine Nebenstelle der letzteren muß im Gebiete der Gemeinde Holtenau liegen.

§ 5

Soweit nicht in diesem Vertrag abweichendes bestimmt wird, treten mit dem Tage der Vereinigung die für Kiel geltenden, in ihrer Gültigkeit nicht örtlichen beschränkten Ortsstatute, Regulative, Polizeiverordnungen und Gemeindebeschlüsse auch in der bisherigen Landgemeinde in Kraft. Der Schlachthauszwang soll innerhalb der ersten 15 Jahre nach der Vereinigung auf Holtenau nur insoweit angewendet werden, als es um das gewerbsmäßige handelt. Für die gleiche Zeit bleiben die in Holtenau geltenden Bestimmungen in Kraft, daß die Straßenreinigung durch die Gemeindeangehörigen ausgeführt wird.
Auch besteht für die Dauer von 15 Jahren die zur Zeit der Eingemeindung in Holtenau bestehende Art der Müll-& Fäkalabfuhr fort.

§ 6

Für die Dauer der ersten 12 Jahre nach der Vereinigung müssen 2 Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung ihren Wohnsitz im Stadtteil Kiel-Holtenau haben. Die mit dem Tage der Vereinigung neu hinzutretenden Stadtverordneten werden noch vor der Vereinigung durch die Gemeindevertretung aus ihrer Mitte gewühlt und bleiben bis zur übernächsten Wahl in ihrem Amt. Außerdem werden von der Gemeindevertretung für jeden Stadtverordneten 2 Ersatzleute bestimmt. Holtenau bildet für die Dauer von 12 Jahren für die Wahlen zur Kieler Stadtverordnentenversammlung einen eigenen Wahlbezirk.

§ 7

Die Stadtgemeinde Kiel verpflichtet sich, innerhalb von 2 Jahren nach der Eingemeindung die Gemeinde mit Gas zu versorgen, zu einem Gaspreis, der den in Kiel geltenden Gaspreisen gleichsteht, sowie zur Herstellung der Hausanschlüsse nach den für Kiel berechneten Sätzen. Ferner verpflichtet sich die Stadt Kiel auf die Dauer von 10 Jahren vom Tage der Eingemeindung an die zur Zeit der Eingemeindung in Holtenau ansässigen Personen und Betriebe mit Strom und zwar zum Preis von 2,50 M für Licht und 2.- M für Kraft zu versorgen. Sollte der Preis über 312.- M für die Tonne Kohle steigen oder unter 312.- M für die Tonne fallen, so erhöht sich bzw. ermäßigt sich der Strompreis auf 3.- M Kohlenpreis, um 2 Pfg. für Lichtstrom, 1 Pfg. für Kraftstrom. Sollten die Strompreise in Kiel unter die für Holtenau vereinbarten Sätze herabsinken, so sollen in Holtenau die Strompreise wie in Kiel erhoben werden.

§ 8

Die Stadt Kiel verpflichtet sich zu folgenden Straßenbauten:

  1. zur Anlegung eines mindestens 1 m breiten befestigten Fußweges an der Kanalstraße von der Fähre bis zur Hafenstraße.
  2. zur Befestigung des bestehenden Fußweges der Bergstraße von der Kanalstraße bis zur Kieler Straße mit Kleinpflaster.
  3. zur Befestigung einschließlich Entwässerung der Kastanienallee von der Hafenstraße bis zum Kirchenweg mit Reihenpflaster, vom Kirchenweg bis zur Posadowskystraße mit Chaussierung.
  4. Zur Befestigung der Hafenstraße mit Reihen- oder Kleinpflaster.
  5. zur Befestigung der Kanalstraße in einer Breite von 5 m von der Fähre bis zur Hafenstraße mit Kleinpflaster.

Die Kosten zu 1-5 der vorgesehenen Maßnahmen hat die Stadt Kiel endgültig zu tragen, doch darf sie zu den Maßnahmen nach Ziffer 3-5 ausschließlich der Chaussierung in Ziffer 3 Beiträge gemäß § 9 K.A.G. bis zur Höhe von 50 % der entstandenen Kosten erheben. Die Arbeiten zu 1 & 2 sind innerhalb von 1 Jahr, die Arbeiten zu 3 sobald die verlängerte Lütjohannstraße ausgebaut wird, spätestens jedoch innerhalb 3 Jahren, die Arbeit zu 4 innerhalb von 5 Jahren und die Arbeiten zu 5 innerhalb von 6 Jahren vom Tage der Eingemeindung auszuführen. Außerdem ist die Stadt Kiel verpflichtet, die von der Gemeinde Holtenau beschlossene und zum Teil schon in Angriff genommene Pflasterung der Kieler Straße und der Straße B 8 weiterzuführen und binnen 1 Jahr zu vollenden. (vom Tage der Eingemeindung an)

§ 9

Die Stadt Kiel verpflichtet sich, die in Holtenau im entstehen begriffene Mittelschule 6 stufig auszubauen, solange die Schülerzahl der einzelnen Stufen durchschnittlich nicht unter 25 sinkt.

§ 10

Amts- und Gemeindevorsteher Wendenburg scheidet mit dem Tage der Eingemeindung aus seinem Amt und tritt auf Grund eines zwischen dem Magistrat der Stadt Kiel und ihm vereinbarten Vertrages in den Ruhestand. Die Beamten der Gemeinde Holtenau treten aufgrund ihrer bisherigen Besoldungsverhältnisse und Anstellungsbedingungen in den Dienst der Stadt Kiel und sind in die für die Stadt Kiel zur Zeit gültige Besoldungsordnung einzureihen. Dabei sind sie gehalten, sich der Entscheidung des Magistrats zu fügen, soweit sie dadurch keine finanzielle Schädigung erleiden.
Den Beamten ist bei ihrer Versetzung in den Ruhestand die ruhegehaltsberechtigte Dienstzeit, auf die sie bisher Anspruch hatten, in vollem Umfange anzurechnen.

§ 11

Für die Dauer der ersten 5 Jahre nach der Eingemeindung muß die Gemeindesteuer in Holtenau um 2 von Tausend niedriger sein, als die in Kiel zur Erhebung kommende. Die Gemeinde Holtenau wird Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung bis zum Tage der Vereinigung nicht treffen, ohne vorher die Zustimmung des Magistrats der Stadt Kiel eingeholt zu haben. Auf Grund des Beschlusses der Gemeindevertretung vom 24./Juni 1921 vollzogen.

Holtenau, den 14. Februar 1922
Kiel, den 15. Februar 1922
Unterschriften

Nebenvertrag zum Eingemeindungsvertrag zwischen Kiel und Holtenau

§ 1

Die Stadt Kiel verpflichtet sich mit allen ihr zu Gebote stehenden Rechtsmitteln bei der allgemeinen Lokal- und Straßenbahngesellschaft den von dieser vertraglich übernommenen Ausbau der Straßenbahnlinie 1 bis zum Kanal durchzusetzen zu versuchen. Ferner verpflichtet sich die Stadt Kiel, umgehend beim Reichskanalamt und bei dem Bezirksausschuß eine Verbesserung der Fährverhältnisse zu erwirken. Die Gemeinde Holtenau ist damit einverstanden, daß bei Verbesserung der Fährverhältnisse die durch Verbesserung entstehenden Mehrkosten durch Erhebung von Fährgeld aufgebracht wird. Das Fährgeld darf jedoch auf die Dauer von 10 Jahren nach der Eingemeindung 50 % der Gaardener Fährgeldsätze nicht übersteigen.

§ 2

Die Stadt Kiel verpflichtet sich, den Ortsteil Schusterkrug mit Wasserleitung zu versehen, sobald der Ausbau von Voßbrook dies wirtschaftlich ermöglicht, spätestens jedoch innerhalb von 3 Jahren nach einer etwaigen Eingemeindung von Pries.

§ 3

Die Stadt Kiel verpflichtet sich, den von der Gemeinde Holtenau angelegten Sportplatz spielfähig zu erhalten und die von der Gemeinde Holtenau vom Reichsfiskus gepachteten Ländereien auch fernerhin für Kleingärten zu erhalten, sofern nicht das Land für Industriezwecke benötigt oder vom Fiskus zurückgefordert wird.

§ 4

Bei Vergebung von städtischen Aufträgen im Ortsteil Holtenau sind die zur Zeit der Eingemeindung im Ortsteil Holtenau ansässigen Geschäftsleute und Handwerker in erster Linie zu berücksichtigen, wenn sie Konkurrenzpreise halten und die Gewähr für bedingungsgemäße Ausführung der Leistungen und Lieferungen bieten.

§ 5

Die Stadt Kiel verpflichtet sich, die zur Zeit an das um Pries gelegene Elektrizitätswerk angeschlossenen Ortsteile Schusterkrug und Stift an das Kieler Elektrizitätswerk anzuschließen, sobald Pries eingemeindet ist, spätestens jedoch den Ortsteil Schusterkrug, sobald das bei Voßbrook liegende Anschlußkabel bis in die Höhe von Schusterkrug geleitet ist. Die im § 7 des Hauptvertrages angeführten Strompreise sind alsdann auch für diese beiden Ortsteile maßgebend. Außerdem verpflichtet sich die Stadt Kiel, die Straßenbeleuchtung in Holtenau in dem bisherigen Umfange zu erhalten, darüber hinaus die nördliche Auffahrt zur Holtenauer Hochbrücke, und auf Kieler Gebiet die verlängerte Prinz Heinrichstraße vom Auberg bis zum Kanal sofort mit Beleuchtung zu versehen.

§ 6

Die den Arbeitsnachweis der Stadt Kiel in Anspruch nehmenden Holtenauer Erwerbslosen erhalten im Falle der Gewährung von Erwerbslosen-Unterstützung da Fahrgeld nach Kiel ersetzt, sofern die Verwaltung ihr Erscheinen in Kiel fordert.

§ 7

Während der Wohnungszwangswirtschaft bildet Holtenau insofern für sich einen eigenen Bezirk, als bei der Zuweisung von Wohnungen in Holtenau in erster Linie Holtenauer Wohnungssuchende zu berücksichtigen sind.

§ 8

Falls das jetzige Gebiet der Stadt Kiel ganz oder teilweise Vollkanalisation erhält, bleiben die Einwohner des Ortsteils solange von den von Steuern aufzubringenden Kosten der Vollkanalisation befreit, als sich im Ortsteil Holtenau keine Vollkanalisation befindet, längstens jedoch auf die Dauer von 20 Jahren nach der Eingemeindung.

Auf Grund des Beschlusses der Gemeindevertretung vom 24. Juni 1921 vollzogen.

Holtenau, den 14. Februar 1922

Namens der Landgemeinde Holtenau
Der Gemeindevorsteher
L.S. gez. Wendenburg1

Kiel, den 15. Februar 1922.
L.S. gez. Lucken
Oberbürgermeister

gez. Dr. Gradenwitz
Bürgermeister

gez. Spiegel2
Stadtverordnetenvorsteher

gez. Nehve
stellv. Stadtverordnetenvorsteher.

Siehe auch:

© Bert Morio 2016 — Zuletzt geändert: 03-12-2016 21:30

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  1. Ewald Wendenburg war der letzte Holtenauer Gemeindevorsteher. 

  2. Dr. Wilhelm Spiegel wurde von den Nationalsozialisten ermordert. Sein Bruder Dr. Otto Spiegel wurde als Leiter der Säuglingsfürsorgestelle in Holtenau von den Nazis abgesetzt und mußte aus Deutschland fliehen.