In der im Hause der Holtenauer Warmbadeanstalt
eingerichteten Säuglingsfürsorgestelle
arbeitete auch der jüdische Kinderarzt Dr.
Otto Spiegel (*16.08.1880, +09.05.1965), Bruder des von den Nationalsozialisten im März 1933
ermordeten Kieler Rechtsanwaltes und Stadtverordneten Dr. Wilhelm Spiegel. Otto Spiegel, der sich
1907 in Kiel niederließ, war der erste fachpädiatrisch ausgebildete Arzt in Schleswig-Holstein —
ja eigentlich der Begründer der Kinderheilkunde in Schleswig-Holstein.
Otto Spiegel studierte Medizin in München, Kiel, Bonn und Berlin und promovierte 1904 in München. 1907 siedelte er sich in Kiel an, wo sein älterer Bruder Wilhelm (*1876) als Rechtsanwalt und Notar tätig war. Otto und sein 4 Jahre älterer Bruder nahmen aktiv am Ersten Weltkrieg teil. 1917 wurde Dr. Otto Spiegel vom Magistrat der Stadt Kiel für den Aufbau und die Leitung der Fachpädiatrie in Schleswig-Holstein angefordert.1
Otto Spiegel leitete von 1923-33 die hier beherbergte Städtische Säuglings- und
Fürsorgestelle
bis er nach dem Mord an seinem Bruder aus dem städtischen Dienst entlassen
wurde. Daraufhin führte er bis 1938 eine kleine Privatpraxis in Kiel. In der Mitte des Jahres
1938 praktizierten in ganz Schleswig-Holstein neben Otto Spiegel nur noch zwei Ärzte jüdischer
Herkunft. In einem Leserbrief in den Kieler Nachrichten aus dem Jahr 1965 berich-tete eine
ehemalige Säuglingspflegerin über den Arzt:
Im Oktober 1933 machte ich meine Prüfung als Säuglingspflegerin, und soweit ich mich erinnere, wurde Dr. Sp. erst Ende 1933 oder Anfang 1934 wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse entlassen. Wir Schülerinnen hatten den größten Respekt vor diesem tüchtigen und immer korrekten Arzt, und ich persönlich war froh, bei ihm einen gründlichen Unterricht erhalten zu haben, der mir dabei half, bei meiner Schwesternprüfung 1934 gut abzuschneiden. 1935 bin ich Herrn Dr. Spiegel noch einmal begegnet, aber ich wagte nicht zu grüßen, die Angst war zu groß. Später habe ich mich deswegen geschämt …2
1938 setzte die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz
alle Bestallungen
jüdischer Ärzte außer Kraft und Otto Spiegel kam als so genannter Schutzhäftling
in
das Konzentrationslager Sachsenhausen
[ext.]. Später konnte Dr. Spiegel über die Niederlande emigrieren. Von dort aus ging er nach
Kolumbien, wo er bis 1955 praktizierte, dann schließlich in die USA. Otto Spiegels 1918 geborener
Sohn Peter Paul Wilhelm Jens Spiegel wurde ebenfalls Kinderarzt und starb im Jahr 2004 in
Chicago.3
Über Wilhelm Spiegel, den ermordeten Bruder Otto Spiegels findet sich hier [ext.] eine Seite der Stadt Kiel. Wilhelm Spiegel hatte 1922 als Stadtverordnetenvorsteher den Eingemeindungsvertrag mit unterschrieben.
© Bert Morio 2016 — Zuletzt geändert: 03-12-2016 21:49
Vgl.: Karl Friedrich Herhaus: Die jüdisch-christliche Episode des 1853 wiederbegründeten Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt 1853 - 1937, Münster (2013, aktualisiert 2014), S. 37f. ↩
Vgl.: Kieler Nachrichten vom 7.9.1965. ↩
Vgl.: Seidler, Eduard: Jüdische Kinderärzte 1933-1945. Entrechtet/Geflohen/Ermordet. Erweiterte Neuauflage. Basel, New York 2007, S. 308f. ↩