Holtenauer Geschichte

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Der Marineschießplatz Holtenau

Während des Zweiten Weltkrieges wurden in den Jahren 1941 bis 1945 auf dem Marineschießplatz in Kiel-Holtenau wahrscheinlich mehrere hundert Todesurteile an deutschen Soldaten vollstreckt — darunter auch der Uboot-Kommandant Oskar Kusch, nach dem eine zum ehemaligen Schießstand führende Straße benannt wurde. Die Verurteilten warteten im Marine­unter­suchungsgefängnis in der Wik auf ihre Exekution.

Holtenau 1924 Abb.: Holtenau im Jahr 1924. Links der Schießstand der Marine.

Genau betrachtet liegt und lag der Marineschießplatz Holtenau trotz seines Namens immer auf dem Gebiet der Gemeinde Altenholz. Das Deutsche Reich erwarb eine Fläche von rund 17 ha aus dem Besitz des Grafen Schack-Schackenburg, dessen Familie in früheren Zeiten auch großen Landbesitz in Holtenau hatte und der 1906 große Teile des Gutes Stift verkaufte. Den Namen Altenholz gibt es allerdings erst seit Anfang 1933.

Das Gelände, auf dem der Schießstand entstand, wurde in Jahr 1906 von verschiedenen Besitzern an das Deutsche Reich verkauft – u. a. durch den Unternehmer Klaus-Friedrich Fahrenkrug, den Erben der Familie Johannsen sowie den Grafen Otto Dietrich Schack. Schließlich ergab sich hier ein Grundstücksbestand von knapp 35 Hektar.

Der Erwerb des Grundstückes war das Ergebnis einer technologischen Notwendigkeit, denn das im Jahr 1898 entwickelte Gewehr K 98 verlangte aufgrund seiner hohen Reichweite nach Schießständen mit einer Bahnlänge von mindestens 600 m, doch war es nicht möglich, die damals in Kiel vorhandenen Schießanlagen auf diese Weite zu verlängern. Im Jahr 1913 bezifferte die Kaiserliche Kommandantur Kiel die Zahl der Schießstände mit 400 m-Bahn in Holtenau auf 10. Im den 1930er Jahren wurde der Schießstand dann nochmals ausgebaut.

Die Anlage besteht aus einem längsrechteckigen Gelände mit drei zentralen, von seitlichen Wällen gesicherten Schießbahnen mit gemeinsamem Geschossfangsystem und gestaffelt angeordneten  schusssicheren  Hochblenden  als Schall- und Schießschutz. Im Südwesten sind kleine Pistolenbahnen angefügt. Im Nordosten befindet sich eine weitere Langbahn mit Kugelfang und eng gestaffelten Blenden. Die ältesten,  noch  aus  preußischer  Zeit  stammenden kurzen  Schießbahnen  im  Südwesten  der Anlage sind hingegen überwuchert und nur noch teilweise ablesbar. Das gesamte Gelände ist von einem Erdwall umgeben. 1

In den letzten Kriegsjahren wurde die Schießanlage als zentrale Hinrichtungsstätte der Reichsmarine genutzt. 1955 wurde das Gelände von der Bundeswehr übernommen.

Die Schießanlage in Altenholz in ihrer Phase als Hinrichtungsstätte der Reichsmarine ist  ein  solches Geschichtszeugnis  und  damit eine Gedenkstätte dieser besonderen Art. Deshalb wurden der Kernbereich der Anlage einschließlich der umgebenden Wälle und die beiden Verwalterwohnhäuser in das Denkmalbuch eingetragen …

In seiner Schrift über den Schießstand Holtenau beschreibt Harro Thiessen die Art der dort geahndeten Vergehen:

Die Straftatbestände, die in den 22 mir zugänglichen Fällen zu Todesurteilen führten, waren u. a. unerlaubte Entfernung, Fahnenflucht, Zersetzung der Wehrkraft und Selbstverstümmelung. Die übrigen Vergehen waren — für sich allein betrachtet — von untergeordneter Bedeutung, kamen aber bei der Urteilsfindung erschwerend hinzu. Alle Hingerichteten wurden mehrerer Vergehen beschuldigt, einige waren Widerholungstäter, so daß entsprechend der damaligen Anschauung 'nur eine harte Strafe eine gerechte sein konnte'.

Weiter schreibt Thiessen:

Die an den Gerichtsverfahren beteiligten Marinejustizbeamten fungierten wechselseitig als Richter, Anklagevertreter oder Vollstreckungsorgan (war bei der Hinrichtung zugegen). Der Gerichtsherr verfügte, wer als Richter und als Ankläger aufzutreten hatte. Als Verteidiger war jeweils ein Rechtsanwalt aus Kiel zugegen, der frühestens 14 Tage vor dem entscheidenden Verhandlungstermin geladen wurde und sich dann erst mit dem Fall vertraut machen konnte. Es fällt auf, daß der Verteidiger eine schwache Position hatte. Selbst wenn er dem Gericht — wie im Fall Christiansen geschehen — schriftlich Argumente präsentiert hatte, die der Entlastung des Angeklagten dienen sollten, wurden diese in der Urteilsbegründung mit keinem Wort erwähnt. Auch bleibt in den Niederschriften unerwähnt, welche Ausführungen der Verteidiger in der mündlichen Verhandlung gemacht hatte.

Der Marineschießplatz in Holtenau scheint nach Paul als zentrale Exekutionsstätte von Kriegsgerichten in ganz Schleswig-Holstein gedient zu haben Bei den Recherchen des stellvertretenden Altenholzer Bürgermeisters Harro Thiessen stellte sich heraus, daß in den Archiven zwar sämtliche Namen der zwischen 1938 und 1945 vor ein Kriegsgericht gestellten Marinesoldaten verzeichnet sind, die abschließenden Urteile jedoch fehlten. Ob es auf dem Marineschießplatz auch im Ersten Weltkrieg zu Exekutionen kam, ist bisher noch nicht geklärt.

Daß die Todesurteile der Sondergerichte in Holtenau nicht erst in den letzten Kriegsjahren vollstreckt wurden schildert auch der Kieler Journalist Karl Rickers, der im Herbst 1941 im Rahmen seiner Ausbildung bei der Marineflak den Schießplatz besuchte:

Zum Abschluß des Schießens wurde uns noch freundlicherweise ein abseits stehender Pfahl gezeigt, der vielfach durchlöchert war. Es war der Pfahl, an den zum Tode verurteilte Soldaten gebunden und erschossen wurden.

Das ganze Verfahren der Exekutionen nahm mit zunehmender Routine immer mehr formalisierte bürokratische Züge an, so daß sogar ein entsprechendes Formblatt entworfen wurde, in das nur noch die jeweiligen Daten einzutragen waren.

Mit welcher Menschenverachtung das Regime seine Feinde exekutierte zeigt auch das von Thiessen in Auszügen zitierte Merkblatt für die Unterbringung zum Tode Verurteilter und die Vollstreckung von Todesstrafen von 1941:

"II.1. Da ein Todesurteil sofort nach Bestätigung des Urteils und Ablehnung der Begnadigung zu vollstrecken ist, muß die Vollstreckung bis ins Kleinste vorbereitet werden, daß sie jederzeit ohne Schwierigkeiten stattfinden kann. Gründliche Belehrung des Vollstreckungskommandos am Richtplatz! Aufklärung über die Stelle, auf die zu zielen ist -- Herz --. [...]

2. Von diesen Vorbereitungen darf der Verurteilte auf keinen Fall etwas merken. Denn anderenfalls besteht die Gefahr unberechenbarer Handlungen des Verurteilten; auch erfordert es die Rücksichtnahme auf den Verurteilten, daß ihm die Kenntnis der Vorbereitungen erspart bleibt. [...]

III.3. Bekanntgabe an den Verurteilten erst am Morgen vor der Vollstreckung. Beispiel: Vollstreckung 8 Uhr. Um 6 Uhr wird der Verurteilte durch die Wache geweckt und ihm mitgeteilt, daß um 6 Uhr 30 der Heeresrichter komme und ihm eine sehr ernste Mitteilung machen werde.

4. Transport des mit Drillichanzug bekleideten Verurteilten zum Richtplatz mit einem geschlossenen oder mit Plane zugedeckten LKW -- kein PKW, da Rücktransport des Sarges.

5. Alle Wege durch Doppelposten rechtzeitig absperren. Am Ende des Standes wird mitten vor dem Kugelfang ein Pfahl fest in die Erde eingelassen, der über den Erdboden etwa 2 m mißt. Bei dem Pfahl Strick zum Anbinden. Sarg in der Nähe, aber unsichtbar für den Verurteilten.

8. Der leitende Offizier läßt durch Zeichen -- Flagge entsichern, anlegen und gibt durch Wort, Pfiff oder Zeichen den Feurbefehl ... Der Sanitätsoffizier läßt den Verurteilten durch das Sanitätskommando einsargen -- Stroh im Sarg wegen des Blutes - und den Sarg zum LKW bringen. Reichseigenes Schuhwerk ist dem Verurteilten vorher auszuziehen und erneut zu verwenden."

In der Endphase des Krieges ging man wegen der zunehmenden Zahl von Fahnen­flucht­delikten dazu über, Gruppenerschießungen durchzuführen, auch wegen der Schwierigkeit, genügend 10köpfige Exekutionskommandos aufzustellen. Die Erschießungen wurden durch einen Zug der Standortwachkompanie durchgeführt.

Oskar Kusch

Der inzwischen bekannteste in Holtenau erschossene Marinesoldat war der Kommandant des Unterseebootes U 154 Oskar Kusch, dem Wehrkraftzersetzung und das Abhören von Feind­sendern vorgeworfen wurde. Er wurde am frühen Morgen des 12. Mai 1944 auf dem Marineschießplatz in Holtenau im Alter von 26 Jahren durch ein Exekutionskommando unter Kapitänleutnant Gerdes erschossen. Kusch wartete im Marinegefängnis in der Wik 106 Tage auf die Vollstreckung des Urteils, lehnte aber seinerseits die Einreichung eines Gnaden­gesuches ab.

Oskar Kusch Abb.: Oskar Kusch (rechts) auf U 103 unter Kptlt. Werner Winter.

Es wurden während des Krieges lediglich zwei U-Boot-Kommandanten zum Tode verurteilt: Der zweite war Ktl. Heinz Hirsacker, der wegen Feigheit vor dem Feinde zu Tode verurteilt wurde, jedoch vor Vollstreckung des Urteils Selbstmord beging.

Todesliste - Auf dem Marineschießplatz exekutiert

Hier soll eine Liste der in Holtenau exekutierten Militärangehörigen entstehen:

Die Liste der auf dem Marineschießplatz Hingerichteten dürfte weitaus länger gewesen sein. So befinden sich auf dem Nordfriedhof auf Feld W die Grabplatten von 65 gemeinsam begrabenen Personen, davon sind 11 auf dem Schießstand Holtenau erschossene Marineangehörige — es ist bekannt, daß 35 Personen Erschossene sind. Es liegt nach Thiessen die Vermutung nahe, daß auch die anderen dort beerdigten Personen exekutiert worden sind.

Wenn die Angehörigen ein Begräbnis auf eigene Kosten ablehnten, wurden die Hingerichteten auf dem Nordfriedhof begraben. Aus dieser Tatsache läßt sich schließen, daß es weitere Todesopfer gegeben haben wird. Und da es aber auch Fälle gab, in denen die Leichen dem Anatomischen Institut der Kieler Universität für Lehr- und Forschungszwecke zur Verfügung gestellt wurden und diese Leichen und Leichenteile nach Kriegsende auch auf anderen Friedhöfen beerdigt wurden, kann man wohl auch aus diesem Grunde von einer deutlich höheren Zahl von in Holtenau Ermordeten ausgehen.

Der Schießstand in der Nachkriegszeit

Nach Kriegsende wurde das Gelände des Schießstandes von den Briten in Besitz genommen. In den noch vorhandenen Baracken aus dem Dritten Reich waren Flüchtlinge aus den Ostgebieten untergebracht. Hier wohnten nach Unterlagen der Gemeinde Altenholz 30 Mietparteien (siehe Flüchtlingslager Marineschießstand). Weitere Flüchtlingslager auf dem Gebiet der Gemeinde Altenholz befanden sich in Knoop und in Altenholz.

Gedenkstein Abb.: Gedenkstein an der Oskar-Kusch-Straße.

Zum Gedenken an den hier ermordeten Oskar Kusch wurde die Straße Am Schießstand in Oskar-Kusch-Straße umbenannt, die sich damit von den Straßennamen der Fliegerasse und Flugpioniere erfreulicherweise deutlich abhebt. Dies geschah jedoch erst nach der Gebiets­reform, durch die das Gebiet des Schießstandes zur Gemeinde Altenholz kam, auf eine gemeinsame Initiative der Gemeinde Altenholz und der Stadt Kiel. Es wurde eine Gedenkfeier durchgeführt und ein Gedenkstein an der Stichstraße zum Schießstand aufgestellt.

Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Hans-Rudolf Boehmer, würdigte Oskar Kusch in seiner Ansprache anläßlich des Volkstrauertages 1996 als eine Persönlichkeit, die — nachdem sie das Unrecht erkannt hatte — allein ihrem Gewissen folgend Unrecht für Unrecht erklärte und dafür ihr Leben verlor.

Siehe auch:
Quellen:

© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 24-06-2017 22:02


  1. Vgl.: www.schleswig-holstein.de/LD/DE/­KulturdenkmaleSH/­VerzeichnisKulturdenkmale/­NeueObjekteDenkmalschutz/­NeueDenkmale_2010__blob=publicationFile.pdf. 

  2. Quelle: Hildegard Thevs: Stolpersteine Hamburg. Otto Groth, unter: http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=3587 [zuletzt gesehen: 22.10.2013].) Harro Thiessen nennt noch weitere Gründe für die Verurteilung: Beihilfe zum unerlaubten Entfernen, Zuwiderhandlung, Diebstahl.