Quarantäneanstaltam Voßbrook
Mit der
zunehmenden Bedeutung Kiels als Hafenstadt stieg auch die Gefahr
eingeschleppter Seuchen und so entstand im Jahr 1867 am Holtenauer
Strand am Voßbrook
eine Quarantänestation (Quarantäneanstalt
)
zuständig für die westlichen Ostseehäfen. Hier wurden die so
genannten Cholerabaracken
errichtet, d. h. Baracken, die Krankensäle, Desinfektionsräume und
Leichenkammern enthielten. Hatte ein Schiff Epidemiekranke an
Bord oder kam aus Häfen, in denen eine Epidemie ausgebrochen war,
wurde hier die gesamte Besatzung des betroffenen Schiffes
interniert.
Die von der Ostsee in den Kaiser-Wilhelm-Kanal einfahrenden quarantänepflichtigen Schiffe werden bei der Quarantäneanstalt zu Voßbrook (Holtenau) untersucht. Maßgebend sind für beide Stellen die Vorschriften über die gesundheitliche Behandlung der den Kaiser-Wilhelm-Kanal benutzenden Seeschiffe vom 7. August 1913.
Abb.: Im
Hintergrund der Wald Voßbrook. Rechts die Villa Bock, damals das Ärztehaus.
Die Quarantäneanstalt bestand aus einer Krankenbaracke mit 14 Betten, einem Wärterzimmer und einer Teeküche, einer Beobachtungsbaracke mit 6 Betten sowie einem Wirtschaftsgebäude mit einem Desinfektionsraum, einer Waschküche und einer Leichenkammer. Alle drei Gebäude hatten eine ähnliche Größe. Eine Landungsanlage mit einer 156 Meter langen Laufbrücke diente zum Anlanden der erkrankten Seeleute.
Abb.:
Kaiserliche Marineinfanterie am Bootshafen. Im Hintergrund
erkennt man noch die Gebäude der Quarantäneanstalt; das höhere
Gebäude ist das Ärztehaus, die spätere "Villa
Bock".
Abb.: Lageplan der Quarantäneanstalt:
(a) Krankenbaracke, (b) Beobachtungsbaracke,
(c) Wirtschaftsgebäude, (d) Brunnen,
(e) Kotgrube, (f) Sielleitung,
(g) Landungsbrücke.
Abb.: Die
Quarantäneanstalt mit der Landungsbrücke.
Als in Hamburg 1892 die Cholera ausbrach, wurden auch in Kiel
Vorkehrungen getroffen — schon wegen der vielen beim Kanalbau beschäftigten Menschen, die
auf engsten Raum zusammen leben mußten. So schrieb die Kieler
Zeitung
Ende August 1892 in einem Artikel, der wohl
zu zuallererst die Öffentlichkeit beruhigen sollte, folgendes:
Was Kiel betrifft, so hat der Oberpräsident Weisungen wegen der Choleragefahr an die hiesige Polizeibehörde gerichtet. Die Baracke in Voßbrook ist völlig in Stand gesetzt, ein Verwalter daselbst stationirt und mit der nöthigen Instruktion versehen.
Der erste Cholerafall in Kiel wurde am 25. August gemeldet. Es folgten weitere Fälle und die verantwortlichen Stellen reagierten mit dem Verbot öffentlicher Versammlungen, Tanz-vergnügen und allen Anlässen, bei denen viele Menschen aufeinander trafen. Erst Anfang Oktober konnten diese Verbote wieder aufgehoben werden.
Abb.:
Beobachtungsbaracke der Quarantäneanstalt.
Im Jahre 1927 wurde die Quarantäneanstalt an die Hörn verlegt und
das Gelände an die Marine verkauft, die
mit dem Gelände den Seeflughafen
erweitern wollte. Das ehemalige Ärztehaus der Quarantäneanstalt —
die so genannte Villa Bock
— diente später als Offiziersmesse und wurde 1974 abgerissen.
Zwei Jahre später wurde dann das letzte Gebäude der
Quarantäneanstalt wegen Baufälligkeit abgerissen. Das ganze
Gelände hatte eine Größe von knapp 4.200 Quadratmetern.
Die Quarantäne-Anstalt bei Holtenau an der Kieler Förde.
Diese Anstalt ist auf einem 42,81 ar großem, etwa 800 m nördlich der Mündung des Schleswig-holsteinischen Canals gelegenen Grundstück erbaut. Die Unebenheit des Bodens hat, da die NW-Ecke des Bauplatzes etwa 15 m über dem mittleren Wasserspiegel der Föhrde lag, verhältnismäßig umfangreiche Erarbeiten veranlaßt. Die einzelnen Gebäude sind auf zwei im Mittel 10,40 m bezw. 6,60 m über Mittelwasser der Ostsee liegenden, durch Wegerampen mit einander verbundenen Baustellen errichtet. Die wesentlichen Bestandtheile der Anstalt sind:
1. Die Krankenbaracke: dieselbe ist von Fachwerk hergestellt, welches mit äußerer und innerer verleisteter bezw. gespundetet Bretterverkleidung versehen ist. Sämtliche Wände, mit Ausnahme der Scheidewände und Feuermauern aus Steinfachwerk, bestehen aus Holzfachwerk. Der Krankensaal und der Flur haben eine gehobelte und gespundete Verschalung unter den Sparren als Decke erhalten. Die anstoßenden Diensträume sind mit einer verschalten Bretterdecke versehen. Sämtliche innere Bretterbekleidungen sind dreimal mit Oelfarben, die äußeren mit Carboliueum gestrichen. Der von Pfeilern getragene Fußboden ist gedielt, mit Fußleisten versehen und dreimal mit heißen Leinöl getränkt. Das Dach ist mit Dachpappe auf Schalung gedeckt. der für 14 Betten eingerichtete Krankensaal ist mit zwei großen eisernen Oefen mit Lüftungseinrichtung, das Wärterzimmer mit einem kleinen ebensolchen und die Theeküche mit einem kleinen Herd ausgestattet. Für die Sommer-Lüftung ist über dem Krankensaal eine Laterne mit vier Jalousieklappen und äußeren Verschlußläden angebracht.
2. Die Beobachtungsbaracke ist in der Bauart von der vorbeschriebenen nicht verschieden und es sind nur die Scheidewände der an dem Krankensaale gelegenen Diensträume ausgemauert. Der für 6 Betten berechnete Krankensaal wird durch einen großen eisernen Ofen erwärmt. Die übrigen Räume sind durch kleinere Oefen heizbar. Behufs Lüftung der Räume sind die oberen Fensterflügel um eine wagerechte Achse drehbar eingerichtet.
3. Das Wirthschaftsgebäude hat wegen der Beschaffenheit des Bodens tiefere Gründungen und eine 0,27 m bezw. 1,02 m hohe Plinte erhalten und ist im übrigen den vorgenannten Gebäuden gleich. Die Wände des Desinfctionsraumes sind massiv, diejenigen der Waschküche in Steinfachwerk und Mörtelputz hergestellt. Fast sämtliche Räume haben hochkantiges Ziegelpflaster mit vergossenen Fugen. Die Leichenkammer ist mit Cementstrich versehen. Das im Desinfectionsraume befindliche Reinigungsgeräth ist von dem Geschäfte Oskar Schimmel u. Co in Chemnitz geliefert.1
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es im Deutschen Reich 5 Quarantäneanstalten: in Memel, Neufahrwasser, Swinemünde, Emden und in Holtenau. Schiffe, die z. B. Fälle von Gelbfieber an Bord hatten oder aus derartigen Häfen kamen, mußten eine gelbe Flagge bzw. gelbe Laterne führen und vor Einfahren in den Kaiser-Wilhelm-Kanal von den Quarantäneanstalten gesundheitlich besichtigt werden.
Abb.: Holtenauer Strandleben und Quarantäneanstalt.
Abb.:
Diese Aufnahme muß relativ alt sein, denn das Ärztehaus
existiert noch nicht. Auch der Landungssteg scheint von seiner
Bauart her noch einfacher konstruiert zu sein als es bei
späteren Aufnahmen der Fall ist.
© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 10-10-2017 07:37
Centralblatt der Bauverwaltung, 7. August 1886, S. 316. ↩