Holtenauer Geschichte

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Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene

In den Jahren von 1939-45 wurden in Schleswig-Holstein mehr als 200.000 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus vielen europäischen Staaten in den verschiedensten Wirt­schaftsbereichen, so z. B. in der Landwirtschaft, in der Industrie, im Handwerk und auch im öffentlichen Dienst eingesetzt. In vielen Fällen als Ersatz für die zum Kriegseinsatz rekrutierte männliche Bevölkerung. Es entstanden während des Krieges in und um Kiel herum dutzende von Zwangsarbeiterlagern — natürlich auch in Holtenau.

Nach dem Krieg wurden in vielen dieser Lager Heitmatvertriebene und ausgebombte Kieler untergebracht.

In den Kriegsjahren wurden im Kieler Raum über 36.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge vor allem in der Kieler Rüstungsindustrie eingesetzt. Ein Teil dieser Menschen kam aufgrund der oft unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ums Leben oder wurde im Arbeitserziehungslager Nordmark bei Russee ermordet.

Insgesamt gab es allein in Kiel über 100 Lager für Zwangsarbeiter. Dazu gehörten neben teilweise hermetisch von der Umgebung abgegrenzten Barackenlagern auch Unterkünfte in Gaststätten, öffentlichen Gebäuden oder Schulen.

Die großen Rüstungsbetriebe hatten oftmals eigene Lager für ihre Zwangsarbeiter. Die Zustände in diesen Lagern variierten stark in Bezug auf ihre Bauart, Heizungs­möglichkeiten, Sanitäranlagen, Belegungsdichte, Verpflegung, medizinischer Versorgung und Überwachung. Auch die Behandlung dieser Menschen war ganz unterschiedlich und reichte von den übelsten Schindereien bis hin zum Familienanschluß. Viele dieser Lager waren jedoch überfüllt, schlecht oder gar nicht beheizbar und wiesen katastrophale hygienische Zustände auf.

Ostarbeiter und sowjetische Kriegsgefangene

Dabei lebten die so genannten Ostarbeiter, die seitens des NS-Regimes für rassisch minderwertig erachtet wurden, unter den schlimmsten Bedingungen. In den letzten Kriegsjahren wurden wegen des zunehmenden Einsatzes von Zwangsarbeitern immer mehr Barackenlager gebaut. Diese lagen oft im direkt durch Bomben gefährdeten Bereich neben den Produktionsstätten, trotzdem wurde den Zwangsarbeitern oftmals der Zutritt zu den Luftschutzräumen verwehrt — dies galt aber zum Teil auch für Zwangsarbeiter aus anderen Ländern. Oft wurde dies mit der geringen Zahl an Luftschutzplätzen (ausreichend für nur ca. 10 % der Kieler Bevölkerung) begründet.

Besonders schlecht war die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Bei ihnen weigerte sich das Deutsche Reich von vorne herein, die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegs­gefangenen anzuwenden.

Gefangene Sowjetsoldaten waren keinen besonderen hygienischen oder gar ärztlichen Aufwand wert. Demzufolge trat, wie im übrigen Schleswig-Holstein, auch in Kiel Fleckfieber in den Lagern auf. Mangelhafte Ernährung, schlechte Bekleidung besonders im Winter, schwere Arbeit, Schläge, entwürdigende Behandlung — dies alles schwächte die Menschen und machte sie anfällig gegen Krankheiten. Unter solchen Umständen mag es verwunderlich erscheinen, daß auf den Kieler Friedhöfen nur so "wenige" sowjetische Kriegsgefangene begraben wurden: Eichhof 255, Nordfriedhof 90, und alle namentlich bekannt. Ein Begräbnis auf einem deutschen Friedhof war nur einem Teil der toten Sowjetsoldaten vorbehalten. Für ganz Schleswig-Holstein standen 2002 namentlich bekannten Toten immerhin 3001 unbekannte Tote gegenüber. Daß Kiel in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht haben sollte, ist ganz unwahrscheinlich. [...]
Es gab in ganz Schleswig-Holstein keinen Ort, an dem sowjetische Kriegsgefangene derart massiv zusammengezogen und eingesetzt wurden wie in Kiel mit seinen zahlreichen Rüstungsbetrieben und militärischen Anlagen. Und erfahrungsgemäß verschlechterten sich die Lebensbedingungen und Überlebenschancen für diese Menschen mit der Größe der Lager, in denen sie untergebracht waren. In Kiel überwogen die stark belegten Lager. Daher muß angenommen werden, daß außer den auf den beiden Friedhöfen beerdigten Toten weit mehr Gefangene in den Lagern gestorben sind.
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Die zur Arbeit vorgesehenen sowjetischen Kriegsgefangenen kamen zu einem großen Teil bereits in einem erbärmlichen Zustand und arbeitsunfähig in Kiel an. Darüber beschwerte man sich seitens der Kreisleitung und wies darauf hin, daß überall zum eigenen Schaden Beerdi­gungsplätze geschaffen werden mußten.

Um ein Massensterben in den Lagern und damit in zu großer nähe zur Zivilbevölkerung zu vermeiden, wurde schon im Herbst 1941 im Kaltenkirchener Ortsteil Heidkaten ein Sterbelager eingerichtet, das kranke und nicht arbeitsfähige Sowjetsoldaten aus dem Bereich des Stammlagers X A aufnahm, um sie dort ohne ärztliche Versorgung sterben zu lassen.2

Das Kaltenkirchener Lager wurde im April 1944 nach Gudendorf bei Melsdorf verlegt. Dort sollen innerhalb eines Jahres etwa 3.000 Menschen gestorben sein, von denen nur 12 (!) namentlich bekannt sind.

So muß angenommen werden, daß sehr viele sowjetische Gefangene aus den Kieler Lagern in Kaltenkirchen und Gudendorf endeten, wenn man sich ihrer nicht auch an bisher unbekannten Stellen in oder bei der Stadt entledigte.3

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Zwangsarbeiter aus Rußland gab es auch im Ersten Weltkrieg. Es handelte sich dabei um Kriegsgefangene, die vorwiegend bei der Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals eingesetzt wurden.

Die einzelnen Lager

In Holtenau und Umgebung gab es mehrere größere und kleinere Lager. Außerdem wurden auch einzelnen Betrieben Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zugeordnet. Neben der Arbeit in der Landwirtschaft oder der Industrie wurden viele Zwangsarbeiter auch bei der Beseitigung der Kriegsschäden eingesetzt — gerade auch bei den gefährlichen Arbeiten wie der Bomben­entschärfung.

Das Lager Waffenschmiede

Nach Angaben der Forschungsgruppe Zwangsarbeit in Schleswig-Holstein (FGZSH) befand sich ein Arbeitslager im Bereich der Waffenschmiede. Es hatte 331 Plätze und es waren dort neben Deutschen auch Dänen, Tschechen, Ungarn und Niederländer inhaftiert. Das Barackenlager in der Waffenschmiede, das von 1939 bis 1945 existierte, wurde während des Krieges von Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes (RAD-Lager) und Soldaten bewohnt. Das Lager wurde von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) betrieben und von weiteren Firmen (u. a. Baufirmen wie Förster Betonbau) und der Stadt Kiel benutzt und war mit 330 bis 400 Personen belegt. Scheinbar wurden einige Insassen dieses Lagers auch als so genannte HiWis4 in der Holtenauer Flakbatterie am Jägersberg eingesetzt.

Das Lager Schusterkrug

Zwei weitere Arbeitslager befanden sich auf dem Holtenauer Flugplatz im Bereich Schusterkrug. Das Lager in der Schule Schusterkrug (Schusterkrug Nr. 5) wurde von den Deutschen Werken (Werk Friedrichsort) benutzt und war mit 250 Personen belegt. Das Gemeinschaftslager Schusterkrug in der Strandstraße / Boelcke Straße Nr. 120 wurde in den Jahren 1935-45 von der Luftwaffe (ursprünglich Reichsarbeitsdienst) benutzt und war mit 250 bis 500 Personen (hauptsächlich Jugoslawen, Ungarn und Griechen) belegt.

Das Lager auf der Kanalinsel

Auf der Kanalinsel bei Projensdorf befand sich ein Zwangsarbeiterlager für Sowjetbürger, das mit 400 Personen belegt war und zu den Walter-Werken in Tannenberg gehörte, die kriegswichtige Komponenten für Unterseeboote und Raketenantriebe produzierten. Hier wäre es in den letzten Kriegstagen beinahe zu einem Massaker an den Zwangsarbeiten gekommen, das scheinbar nur dadurch verhindert wurde, daß das Lager im letzten Augenblick durch die Alliierten befreit wurde:

Am Ende des Krieges kamen Autos ins Lager mit [unleserliches Wort, Anm. d. Übers.], alle Männer ließ man mit dem Gesicht zum Stacheldrahtzaun antreten, die Männer und Kinder ließ man sich mit dem Gesicht zur Erde auf den Boden legen, noch eine Minute und man hätte uns erschossen, aber zu diesem Zeitpunkt drangen Angloamerikaner in Autos in das Lager ein und retteten uns.

Auf Gut Knoop

Auf Gut Knoop war ein Kriegsgefangenenkommando stationiert, wobei es sich um 40 Bürger der Sowjetunion handelte, die wahrscheinlich in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Hier sollen auch geflüchtete Gefangene erschossen worden sein.

Sonstige

Siehe auch:

© Bert Morio 2020 — Zuletzt geändert: 20-03-2020 14:40


  1. Hoch, Gerhard: Französische Kriegsgefangene in Kiel 1941-1945, in: Jensen, Jürgen [Hrsg.]: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 79, Heft 2, S. 61-72, hier S. 71. 

  2. Hoch, Gerhard: Französische Kriegsgefangene in Kiel 1941-1945, in: Jensen, Jürgen [Hrsg.]: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 79, Heft 2, S. 61-72, hier S. 71f. 

  3. Hoch, Gerhard: Französische Kriegsgefangene in Kiel 1941-1945, in: Jensen, Jürgen [Hrsg.]: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 79, Heft 2, S. 61-72, hier S. 72. 

  4. =Hilfswillige — was für ein furchtbarer Euphemismus.