Holtenauer Geschichte

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Die Grundsteinlegung
für den Kaiser-Wilhelm-Kanal 1887

Wohl niemals in seiner bisherigen Geschichte hat Holtenau solch glanzvolle Festlichkeiten erlebt wie anläßlich der Grundsteinlegung und der Eröffnungsfeierlichkeiten für den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Die Grundsteinlegung für den neuen Kanal wurde nach vielen politischen und militärischen Querelen schließlich am 3. Juni 1887 in Holtenau durch den greisen Kaiser Wilhelm I. vollzogen, der sich als Förderer des Kanalprojektes verstand und sich daher sein Kommen zu diesem Ereignis nicht nehmen ließ. Ursprünglich für den Herbst geplant, wurde die Grundsteinlegung jedoch, als die Teilnahme des greisen Kaisers bekannt wurde, wegen der günstigeren Witterung auf den Juni vorverlegt.

Holtenauer Festplatz Abb.: Der Holtenauer Festplatz. Am Bug des Festschiffes steht die Germania.

Der Kaiser hatte auf dem Kieler Schloß übernachtet und obwohl der Wind immer stärker auffrischte und die Kaiserstandarte auf dem Kieler Schloß zerfetzte, ließ sich Wilhelm I. nicht davon abhalten, die feierliche Handlung auszuführen. Die Grundsteinlegung fand vor dem Kanalpackhaus auf dem Gelände des heutigen Tiessenkai Nr. 9 statt.

Festplatz am Kanalpackhaus Abb.: Der Festplatz am Kanalpackhaus. Auf dem Plan zu sehen sind außerdem noch die Standorte des alten Holtenauer Leuchtturmes (L) und des Obelisken (D). Beim Restaurant am oberen Rand handelt es sich um das Restaurant Zur Kanalmündung.

Ganz im Gegensatz zu den Feierlichkeiten bei Bau und Eröffnung des Eiderkanals wurde dieses mal die Grundsteinlegung mit großem Pomp und Pathos zelebriert. Der Kaiser war bereits am frühen Abend des 2. Juni auf dem Kieler Hauptbahnhof eingetroffen und dann durch die Stadt zum Kieler Schloß gefahren. Dazu wurde der ganze Weg vom Bahnhof zum Kieler Schloß mit Fahnen, Girlanden und Lampions geschmückt.

Die Kieler Bürger veranstalteten einen Festzug durch die Stadt, der schließlich auf dem kaiserlichen Weg ein Spalier bildete. Der Kaiser fuhr von Kiel aus durch die Wik zur Holtenauer Friedrichschleuse und dann auf dem nördlichen Treidelweg zur Mündung des Eiderkanals.

Plan der Festtribüne Abb.: Plan der Festribüne von 1887 (großes Bild).

Gegenüber der militärstrategischen Bedeutung trat die wirtschaftliche im Rahmen der Feierlichkeiten in den Hintergrund. Es ging der verspäteten Nation um eine Demonstration nationaler Stärke. Dieser Profanität nationalen Machtstrebens versuchte man mit psycho­logischen Effekten zu begegnen, denn ... die Grundsteinlegung für diesen wichtigen Schiffahrtsweg war nicht irgendein routinemäßiger Vorgang, wie er bei vielen öffentlichen Bauwerken vorgenommen zu werden pflegte, sondern mit diesem Akt stellte sich das Deutsche Kaiserreich selbstbewußt als junge, moderne Nation dar und tat einen weiteren Schritt in Richtung seines Anspruches auf Weltgeltung.

Eine zeitgenössische Schilderung des Autors Carl Beseke, der 1893 ein Standardwerk über den Nord-OstseeKanal verfaßte, macht dieses deutlich:

An der Mündung des alten Eider-Kanals, auf dem Holzplatze der Firma Grimm, war eine von den Gebrüdern Stenner & Ströh im Auftrage der Kaiserlichen Kanal-Kommission errichtete Tribüne aufgeschlagen. Dieselbe, als imposanter Flügelbau vor dem alten Zollspeicher1 mit der Front nach der Kanalmündung im Norden des Festplatzes sich erhebend, ist in der Mitte durch einen, zum Theil mit Eisenkonstruktion versehenen Schiffsrumpf getheilt, welcher den vollgetakelten Vordermast eines Kriegsschiffes, mit Stangen, Raaen, Segeln und Wanten etc. trägt, dessen Raaen bei der Feier von Matrosen in Paradeuniform bemannt werden.
Vorn auf dem Bug des Schiffsrumpfs erhebt sich in Gyps die Kolossalfigur der Germania. Vor dem Steven des Schiffsrumpf ist der Pavillon für den Kaiser erbaut, der von energisch-modellierten Delphinen flankiert wurde.
Zwei mächtige bronzierte Kandelaber lenkten das Auge auf die Mitte hin. Vor dem kaiserlichen Thronsessel hin öffnete sich eine breite bequeme Rampe gegen den Grundstein hin, der unmittelbar vor derselben aufgestellt war.

Über das Festschiff Niobe schreibt eine zeitgenössische Quelle das Folgende:

Das Schiff, ungefähr auf ein Fünftel seiner ganzen Länge hergestellt, mit der Wasserlinie etwas über dem Fußboden der Vortribüne emporreichend, war ganz in eisernen Spanten und Decken erbaut, die mit schmalen Holzdielen bekleidet und entsprechend angestrichen wurden. Der Mast hatte eine Höhe von 33 m über dem Erdboden und führte volles Tau- und Segelwerk. Die Ausführung des Schiffes war den Sehiffswerftbesitzern Gebrüdern Howaldt in Kiel-Diedrichsdorf übertragen, welche mit ihrer Leistung überall die vollste Anerkennung fanden.

Die Grundsteinlegung fand in Anwesenheit wichtiger Persönlichkeiten des Kaiserreiches statt, jedoch ohne den Reichskanzler Otto von Bismarck, der sich vehement für den Kanalbau eingesetzt hatte, der allerdings durch den Minister v. Bötticher vertreten wurde, der auch die folgende auf Holtenau, den 3. Juni 1887 datierte Urkunde zur Grundsteinlegung verlas:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Kaiser, König von Preußen etc. thun kund und fügen hiermit zu wissen:

Die Herstellung einer unmittelbaren Verbindung der beiden deutschen Meere durch eine für den Verkehr der Kriegs- und Handelsflotte ausreichenden Wasserstraße ist seit langer Zeit das Ziel in unerreichbarer Ferne. Nachdem aber durch Gottes Fügung das Deutsche Reich neu entstanden war, konnte der Plan zur Herstellung jener Verbindung in der uns seitdem beschiedenen gewesenen Zeit friedlicher Entwicklung festere Gestalt gewinnen. Durch das Reichsgesetz vom 16. März 1886 ist die Verbindung beider Meere nun sichergestellt worden.
Ein Bauwerk von gewaltiger Ausdehnung soll damit unternommen, ein bleibendes Denkmal deutscher Einigkeit und Kraft geschaffen, und in den Dienst nicht nur der vaterländischen Schiffahrt und Wehrhaftigkeit, sondern auch des Weltverkehrs gestellt werden. Keine menschliche Voraussicht vermag die zukünftige Bedeutung dieses Baues in vollem Umfange zu ermessen; die Wirkungen desselben ragen über das lebende Geschlecht und über das zur Rüste gehende Jahrhundert hinaus.
Im Hinblick auf diese Bedeutung des vaterländischen Unternehmens haben Wir beschlossen, im Namen der Fürsten und freien Städte des Reiches, in Gemeinschaft mit den Vertretern des Reichstages und des Preußischen Landtages, der Grundstein zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals, und zwar an der Stelle gelegt werde, an welcher sich in Zukunft die Eingangsschleuse bei Holtenau erheben wird.
Möge der Bau dem deutschen Vaterlande, möge er den Elbherzogthümern zu Heil und Segen gereichen! Möge durch ihn das Gedeihen der deutschen Schiffahrt und des deutschen Handels, die friedliche Entfaltung des Weltverkehrs, die Stärkung der vaterländischen Seemacht und der Schutz unserer Küsten kräftig gefördert werden!
Das walte Gott in Gnaden!
Gegenwärtige Urkunde haben Wir in zwei Ausfertigungen mit Unserer Allerhöchsteigenhändigen Namensunterschrift vollzogen und mit Unserem größeren Insiegel versehen lassen.
Wir befehlen, die eine Ausfertigung mit den dazu bestimmten Schriften und Münzen in den Grundstein bei Holtenau niederzulegen, die anderen in Unserem Archiv aufzubewahren.

Gegeben Holtenau, den 3. Juni 1887.

Eine Ausfertigung dieser Urkunde wurde dann zusammen mit anderen Schriftstücken in einer Kupferkassette in einer Aushöhlung des Grundsteines aus Granit versenkt, wie es auch in den amtlichen Mitteilungen beschrieben wurde:

Ein Steinsetzmeister und ein Maurermeister hoben den kupfernen Kasten mit seinem Inhalt in den Grundstein und fügten den schließenden Stein darüber. Alsdann näherte sich dem Kaiser der bayerische Gesandte Graf von Lerchenfeld, um Namens des Bundesraths die Kelle zu überreichen, wobei er in seiner Ansprache betonte, daß dieselbe Hand, welche die Fürsten und Völker Deutschlands zu einem ewigen Bunde vereinigt, den ersten Stein zu einem Bau lege, der die deutschen Meere zu verbinden bestimmt sei.
Der Kaiser ergriff die dargebotene silberne Kelle und belud dieselbe mit dem bereit gehaltenen Mörtel, warf denselben auf den Stein, verstrich die Fugen, empfing den vom Präsidenten des Reichstags mit einigen Worten überreichten Hammer, nahm denselben in die Rechte und entblößte mit der Linken sein Haupt, mit ihm Alle die, denen es vergönnt war, Zeugen dieses großen Augenblicks zu sein. Unter lautloser Stille der Tausende, welche den weiten Festplatz füllten, vollzog der Kaiser nunmehr die drei Hammerschläge und begleitete sie mit den Worten: ’Zur Ehre Deutschlands, zu seinem immer währenden Wohle, zur Größe und zur Macht des Reiches!’ Hierauf vollzog der Kaiser drei weitere Schläge für die Kaiserin, seine Gemahlin, ihm folgten die Prinzen und die Ehrengäste.

Dem Akt der Grundsteinlegung folgte eine kurze Weiherede des Oberhofpredigers Kögel, in der er an das Schleswig-Holsteinische Up ewig ungedelt anknüpfte, und darauf sang der Chor das Halleluja aus Händels Messias. Es folgten das obligatorische Kaiserhoch und das Heil Dir im Siegerkranz, das gleichzeitig den Abschluß der Feier bildete.

Aviso Pommerania Abb.: Der Aviso Pommerania.

Der ganze Akt der Grundsteinlegung dauerte nicht länger als 25 Minuten. Dann begab sich Wilhelm I. unter Geschützdonner an Bord des Kriegsschiffes Pommerania, das mit anderen Kriegsschiffen in weitem Bogen vor der Kanalmündung Aufstellung genommen hatte, und nahm eine Flottenparade ab.

Er begrüßte seinen Sohn, den Prinzen Heinrich von Preußen, der auf dem Flottillenfahrzeug "Blitz" die beiden Torpedobootsdivisionen kommandierte. Auf dem Panzerschiff "König Wilhelm" wehte die Fahne des Chefs der Admiralität, Generallieutenant v. Caprivi. Neben diesem Flaggschiff lagen die Panzer "Kaiser", "Oldenburg" mit dem Aviso "Pfeil". Dann folgte der Panzer "Friedrich Carl" mit der Flagge des Stationschefs  der Nordseestation, Viceadmiral Graf von Monts, während die "Hansa" die Flagge des Stationschefs der Ostseestation, Viceadmiral von Blanc, gesetzt hatte. Von der Kreuzerfregatte "Stein" wehte die Flagge des Geschwaderchefs, Kontreadmiral von Kall. Dann passierte die Pommerania die weiteren Schiffe: "Moltke", "Gneisenau", "Prinz-Adalbert", "Ariadne", "Luise", "Niobe" und "Blücher". Im inneren Hafen paradierten die Schiffe "Baden", "Württemberg", "Bayern" und "Sachsen". Wegen des starken Nordostwindes wurde dem Kaiser nahe gelegt, unter Deck zu gehen, was dieser jedoch mit den Worten ablehnte: "Meine Matrosen bekommen mich so selten zu sehen, da möchte ich doch lieber oben bleiben". Am Schluß der Parade sagte er: "Ich wußte gar nicht, daß meine Marine schon so groß ist".

Auf die Flottenparade folgte nachmittags ein Festessen mit 300 Gästen auf Bellevue.

In den Grundstein wurden neben der oben erwähnten Urkunden noch weitere Schriftstücke eingemauert. Neben einer Karte der Linie des Nord-Ostsee-Kanals war dies eine Ausfertigung über das Gesetz, betreffend die Herstellung des Nord-Ostsee-Kanals; dazu kam das Gesetz betreffend die Gewährung eines besonderen Beitrages von 50 000 000 Mark im voraus zu der Herstellung des Nord-Ostsee-Kanals.

Diesen Schriftstücken beigegeben wurde zudem eine Denkschrift über die Baugeschichte des Kanals, in der auch die besonderen Verdienste Hermann Dahlströms aufgeführt wurden.

Als sich das große Bauprojekt langsam seinem Ende zuneigte wurde am 7. April 1894 der Grundstein ... des Nord-Ostsee-Kanals, der im Jahre 1887 von Sr. Majestät Wilhelm I. gelegt ist, über eine Gleisanlage in den unteren Teil des an der Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal bei Holtenau erbauten Leuchtturms transportiert. Nach dem Absenken des Steins in das Gewölbe wurde er dann eingemauert und wird so den Blicken vieler Generationen entzogen werden.

Die Statue der Germania, die sich während der Grundsteinlegung auf dem Schiffsbug befunden hatte und anschließend auf dem Grundstein gestanden hatte, wurde vor dem Verwaltungsgebäude der Kaiserlichen Kanalkommission aufgestellt.

Germania Abb.: Die Germania von Holtenau.

Die drei Hammerschläge des Kaisers läuteten nicht nur den Kanalbau ein, sondern kündigten den Holtenauern auch eine neue Zeit großer Veränderungen an, die auch die Entwicklung Holtenaus von einem Bauerndorf im Dänischen Wohld zu einer Seefahrergemeinde mit sich brachten. Allein in den 5 Jahren zwischen 1885 und 1890 verdoppelte sich die Einwohnerzahl Holtenaus von 391 (plus 60 im Kanaldistrikt) auf 800 (plus 300 im Kanaldistrikt).

Abb.: Grundstein (für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal?) vor dem Leuchtturm.

Dieses Bevölkerungswachstum (siehe Einwohner) hatte wiederum zur Folge, daß sich die Lücken zwischen dem Kanaldistrikt und dem dörflichen Zentrum an der heutigen Richthofenstraße langsam mit städtischer Bebauung füllte, insbesondere durch die Bauten des Kanalbauvereins und der Holtenauer Lotsen.

Weitere historische Texte zur Grundsteinlegung 1887

Siehe auch:

© Bert Morio 2017 — Zuletzt geändert: 04-10-2017 21:40

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  1. Gemeint ist das Kanalpackhaus